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Erste Erfahrungen....

Der 18.7.2018 war einer der besten Tage meines damals sechzehn Jahre langen Lebens. Mir wurde die Urkunde zur bestandenen Jagdprüfung überreicht. Wochen zuvor hatte ich mit Theorielernen und Praxistraining verbracht, monatelang den Vorbereitungskurs besucht und jahrelang meinem Vater begeistert bei der Jagdausübung zugesehen. Ich muss zugeben, dass ich mir nicht vorgenommen hatte, zur Jagdprüfung anzutreten, allein um später einmal Wild zu erlegen. In erster Linie motivierten mich Neugier und meine Leidenschaft für Herausforderungen. Ob ich je in der Lage sein würde, tatsächlich abzudrücken und ein Leben zu nehmen, war eine Frage, die ich beschloss offen zu lassen.

Als ich schließlich meine Jagdkarte, in den Händen hielt, wurde es immer deutlicher, dass ich mich langsam entscheiden müsste, ob ich wirklich Jägerin und nicht nur Hegerin sein will. Darüber, dass es ethisch viel vertretbarer ist zu jagen, um Fleisch als Nahrung zu beziehen, aber auch das es aus ökologischer Sicht, in unserer heutigen Welt eine Notwendigkeit ist, um Wildbestände zu regulieren etc. und als Sicherheitsmaßnahme gegen Wildunfälle, wusste ich schon Bescheid.

Das Wild lebt frei, hat sogar ein besseres Leben als manche Menschen, und verspürt, wenn man es richtig, trifft auch keine Schmerzen, weshalb ich immer sehr viel Wert darauf legte, so treffsicher wie nur möglich zu sein. Wenn ich tatsächlich abdrücken würde, müsste ich genau wissen, dass der Schuss sitzt. Abgesehen davon, das Sicherheit immer das wichtigste beim Umgang mit einer Waffe ist, war mit Tierleid zu vermeiden, das absolut Wichtigste. Schließlich handelt es sich um ein lebendes, atmendes Tier, dessen Leben man beendet.

Obwohl nun der moralische Teil der Frage geklärt war, stellte ich mich selbst immer noch in Frage. Warum soll ich entscheiden können, wenn es um Leben und Tod geht? Womit habe ich das Recht einem anderen Lebewesen das Leben zu nehmen? Würde ich es überhaupt emotional verkraften? Ist es nicht unglaublich egoistisch, sich Sorgen um mein emotionales Wohlbefinden zu machen? Ich werde nachher weiterleben, das Wild nicht. Andererseits wäre es doch feig, andere das moralisch Richtige tun zu lassen und mich hinter ihnen zu verstecken. Eigentlich sollte ich doch aufhören, mich von Fleisch zu ernähren, wenn ich es selber nicht zu Stande bringe, es zu besorgen.

So überlegte ich knapp ein Jahr lang hin und her. Zum Glück habe ich ein unglaublich empathisches soziales Umfeld. Niemand machte mir Druck, oder redete mir ein schlechtes Gewissen ein, sogar meine vegetarischen Freunde waren positiv dem Jagen gegenüber eingestellt. Sie verstanden, warum es aus ökologischer und sicherheitstechnischer Sicht wichtig ist. Trotzdem wollte ich eigentlich zu einem eindeutigen Ergebnis mit meinen Gedanken kommen, bevor ich wirklich auf die Jagd ging. Bis mein Vater eine Einladung in die Steiermark erhielt.

Auf der Jagdhütte im Gesäuse war ich schon als Nichtjägerin zu Besuch und es hatte mir dort unglaublich gut gefallen. Also, immer noch unentschlossen, mit dem Hintergedanken vielleicht noch mehr zu lernen und an Erfahrung zu gewinnen, machte ich mich mit meinem Vater, der mir jagdlich schon als Achtjährige ein großes Vorbild war, auf den Weg ins Gebirge.

Einer der Gründe, warum mein Vater, bezogen auf die Jagd, so ein großes Vorbild für mich ist, sind sein Wissen und Verständnis für das Verhalten des Wildes, welches er über die Jahre nahezu perfektionierte. Deshalb sucht er auch meist die besten Plätze aus um Anblick zu haben und weiß genau wo und wann aufgrund von Wind und Wetter man am ehesten die Chance hat, beim Ansitzen erfolgreich zu sein. Natürlich suchte er gleich am ersten Abend den perfekten Platz aus.

Wir saßen eine halbe Stunde auf einem Hochstand, mit Blick auf eine wunderschöne Lichtung und hohe Berge im Hintergrund, als wir ein Reh, ein paar hundert Meter rechts von uns, schrecken hörten. Das war das erste Mal, dass ich es überhaupt von Hundebellen unterscheiden konnte. Wir wurden noch leiser als wir es sowieso schon waren und warteten, überzeugt, davon, einen Rehbock gehört zu haben, kurz darauf, ihn vor Gesicht zubekommen. Während mir wieder diverse Gedanken durch den Kopf schwirrten. Zunächst versteckte sich das etwas älter wirkende Reh noch ein paar Minuten lang am Waldrand, wo es zwar erkennbar, aber nicht gut ansprechbar war. Deshalb konnten wir erst als es sich auf die Lichtung wagte, feststellen, dass es sich um eine Gais handelte. Ich war etwas erleichtert, denn Gaisen haben im Juli Schonzeit in der Steiermark. Das heißt, es stellte sich nicht einmal die Frage, ob ich es erlegen wollen würde oder meinem Vater überlasse. Wir beobachteten die Gais beim Äsen noch ungefähr eine Stunde lang, in der sie immer wieder im Dickicht verschwand und wieder auftauchte.

Es dauerte noch eine weitere Stunde, bis wir plötzlich zwei von rechtshinten auf uns zulaufenden Rehen hörten. Nicht einmal 30 Sekunden, nachdem wir sie zum ersten Mal gehört hatten, standen sie ungefähr 20 Meter vom Hochstand entfernt mitten im Gras. Sofort erkannten wir, dass es sich bei dem jüngeren, etwas besser sichtbarem Stück, um eine jüngere Gais handelte und bei dem zweiten um einen Bock. Obwohl nur sein Haupt aus dem hohen Gras herausragte, war deutlich zu erkennen, dass es wir einen alten Bock im Anblick hatten. Einen, der bereits den Höhepunkt seines Lebens hinter sich hatte. Auf sechs Jahre schätzte ihn mein Vater und meinte direkt, ich solle mich einrichten, damit ich, sobald er sich aus dem hohen Gras rausbewegt, bereit wäre ihn zu erlegen. Natürlich im leisesten Flüsterton.

Wenn man die Präsenz meiner Zweifel vorher mit einem Kitzpfiepen gleichgesetzt hätte, könnte man sie zu diesem Zeitpunkt mit einem Hirschröhren vergleichen. Ich debattierte in meinem Kopf mit mir selbst, so schnell wie ich es vorher noch nie tat. Abgesehen davon, dass ich bereits 100% von der ökologischen und ethischen Notwendigkeit der Jagd überzeugt war, kam ich aufgrund vorlegender wichtiger Punkte innerhalb von Sekunden zu dem Entschluss, ihn zu erlegen:

  1. Er ist alt, für ihn ginge es biologisch nur noch bergab.
  2. Wenn ich ihn nicht erlege, tut es mein Vater.
  3. Wenn ich ihn richtig treffe, ich würde niemals abdrücken, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass der Schuss nachher sitzt, verspürt er keine Schmerzen und wird nicht einmal merken, dass er verendet.
  4. Er wird ein wunderschönes, für einen Rehbock langes, Leben gehabt haben und einen Tod, den ich mir selber wünschen würde.

Nach dem Entschluss stieg meine Nervosität. Der Bock verweilte noch ein paar Minuten im hohen Gras. Währenddessen versuchte ich mich mit der Hilfe meines Vaters einzurichten, weil die Rehe aber beide auf der rechte Seite vom Hochstand ästen und er dort saß, war dies etwas kompliziert. Weshalb er auch mein Gewehr hielt, bis der Bock zum Glück, wie mein Vater bereits vermutete, nach einem kurzen Zeitraum auf einen kleinen Hügel stolzierte. Dort tat er sich zwar sofort in einer Mulde nieder und auf niedergetanes Wild würde ich niemals schießen, er gab mir aber damit Zeit, mich durch die frontale Öffnung des Hochstandes bequem einzurichten. Ich hatte mich gerade ein bisschen beruhigt, als er plötzlich hoch wurde. „Jetzt!“, flüsterte mein Vater entschlossen.

Kugelfang war auf der ganzen Lichtung gegeben. Ich erfasste das Leben des Bocks im Fadenkreuz, mein Puls stieg, meine Atmung wurde schwer. Erst als ich perfekt eingerichtet war und es schaffte, mich zu konzentrieren, verlangsamte sich mein Puls. Ich hielt meinen Atem an und krümmte meinen Finger am Abzug. Der Schuss brach. Der Bock viel zurück in die Mulde, in der er sich zuvor noch niedergetan hatte. Die Gais, die, bis der Schuss brach, noch einige Meter neben ihm geäst hatte, rannte davon. Er wurde nicht mehr hoch, und nach wenigen Augenblicken hörte er auch auf zu schlegeln. Kurz nach der Schussabgabe war ich anscheinend so aufgeregt, dass ich meinem Vater energisch sagte, er solle jetzt auch sofort anlegen, damit er falls ich aus irgendeinem Grund nicht richtig getroffen hätte, den Bock erlösen könne. Er lächelte mir ruhig zu und wusste, dass dies nicht nötig war.

Ich atmete ein paar Mal tief durch und mein Puls beruhigte sich wieder. Jetzt realisierte ich, was eigentlich gerade geschehen war. Ich hatte meinen ersten Bock erlegt. ICH hatte einem Tier sein Leben genommen, das ich gerade noch lebendig sah. Ich kämpfte gegen die Tränen an und versuchte so stark wie nur möglich zu sein, aber ich war machtlos und begann zu weinen. Mein Vater gab mir ein Taschentuch und schaute mich mit einem verunsicherten Lächeln an. Ich lächelte so gut es ging zurück. „Alles okay?“, fragte er mich, immer noch flüsternd, weil wir den Bock in Ruhe verenden lassen wollten. Ich nickte eifrig und versuchte so verständlich wie möglich: „Es ist nur traurig“, zu antworten.Er erwiderte mein Nicken.

Wir warteten ein paar Minuten in Stille, bis wir uns vom Hochstand hinunter begaben. Am Weg zum Bock war ich so beschäftigt damit nicht hinzufallen, weil unser Weg aus von Unkraut überwachsenem zerschnittenem Holz bestand, dass ich kurz ganz aufhörte zu weinen. Zu dem Zeitpunkt war es viel mehr Neugier, die mich erfüllte.

Dies änderte sich jedoch ganz rasch wieder, als ich vor dem erlegten Bock stand. Meine Emotionen überwältigten mich ein zweites Mal und Tränen strömten mir übers Gesicht. Er war so schön und so ruhig. Aber lebendig würde er nie wieder sein, meinetwegen. So ein wunderschönes Wesen, für dessen Tod einzig und allein ich verantwortlich war. In dem Moment war es mir egal, wie stark ich wirkte, wie ich aussah und was irgendwer über mich dachte. Ich wollte jetzt weinen und ich wollte jetzt trauern.

Sobald mein Vater mit unserem kleinen Jagdhund (Parson Russel Terrier) aufschloss, ich war nämlich ein bisschen schneller vorgegangen, meinte er, ich könne dem Bock ja meine Jacke unters Haupt legen, so wie er das immer tat. Sein Vorschlag gefiel mir und ich setzte mich, nachdem ich das Haupt des prächtigen Rehs auf meiner Jacke ablegte, neben ihn ins Gras. Bewundernd schaute ich ihn mir genau an und streichelte ihm ein, zwei Mal über den Träger, immer noch weinend. Er war noch warm.

Vor lauter Aufregung hatten wir bis dahin noch die Brüche vergessen. Mein Vater, der zum Glück zu diesem Zeitpunkt viel klarer denken konnte als ich, erinnerte mich daran und übergab mir, wie es sich traditionell gehört, den Beutebruch mit einem kräftigen „Weidmannsheil!“. Natürlich folgte darauf ein „Waidmannsdank!“ meinerseits. Gleich darauf brach ich einen Zweig eines anderen bruchwürdigen Holzes ab, in dem Fall einer Buche, und reichte dem Bock seinen letzten Bissen. Respekt vor dem Wild und der Tradition ist für mich eine der wichtigsten Aspekte der Jagd. Darum kam Freude in mir auf, welche für einen kurzen Moment die Trauer in mir verdrängte, als ich den Beutebruch erhielt und den letzten Bissen verabreichte.

Anschließend zog ich das prächtige Tier mit erhobenem Haupt zum Auto. Dort luden wir ihn ein und fuhren zum Aufbrechen auf die Hütte. Mir war es sehr wichtig, jeden Schritt, gerade beim ersten Abschuss, selber zu machen. Also brach ich ihn mit Assistenz und Führung meines Vaters auf, wobei ich jeden Schnitt selber anlegte. Viele, die mit der Jagd nicht vertraut sind, stellen sich das sicher dramatisch, vielleicht sogar erschreckend vor. An dem Punkt jedoch sah ich den Bock nicht wie ein Tier, dass vor wenigen Stunden noch lebte, sondern wie eine biologische leblose Maschine, die man vorsichtig, um so wenig vom verwertbaren Wildkörper zu beschädigen wie nur möglich, auseinander nimmt. Ihn immer noch mit Respekt zu behandeln, war Priorität.

Sobald ich jedoch wieder intensiver darüber nachdachte, dass ich den Bock noch vor kurzem lebendig herumgehen gesehen hatte, bekam ich wieder nasse Augen. Aber während ich aufbreche und Hand anlege, denke ich nicht daran. Zum ersten Mal kommt sogar ein bisschen Euphorie in mir hoch. Ich habe gerade Beute gemacht.

Nach der entsprechenden Zeit in der Kühlkammer, zerwirkte ich ihn auch selber. Es dauerte Stunden, schließlich hatte ich keine Übung, es war aber jede Minute wert. Obwohl ich es vorher, wie bereits erwähnt, noch nie getan hatte, fühlte es sich irgendwie normal an. Einige Jäger behaupten, dass Jagen zum Leben und speziell zur Natur des Menschen gehört. Sie sagen, dass sich durch die Jagd das eigene Verständnis für Tod und Leben neu prägt, sowie einem schnell bewusst wird wie filigran das Leben eigentlich ist. Speziell von Männern hörte ich in der Vergangenheit, dass sie spürten endlich angekommen zu sein. Ich stimme zu, jagen fühlte sich wirklich natürlich an. Wie ein Teil des Lebens, wie ein Teil von mir. Eine Seite von mir, die immer da war, bis zu dem Zeitpunkt aber noch nie aktiviert wurde.

Als „endlich angekommen“ zu sein, würde ich es einfach aufgrund der Tatsache nicht bezeichnen, dass ich erst 17 Jahre alt bin und daher glaube noch nicht ganz begreifen zu können, was die Jäger, von denen ich es bisher hörte, die übrigens alle weitaus älter waren als ich, wie sie anfingen auf die Jagd zu gehen, damit genau meinten. Von ihnen hatte ich auch noch nicht einen weinen sehen, was ich im Gegenteil noch ein paar Mal tat, wenn ich mich genauer an den Abschuss zurück erinnerte. Wie z.B. beim Schreiben dieses Berichts. Ich bereue nichts. Schlicht aus den Gründen die ich vorhin schon aus ethischer und ökologischer Sicht anführte. Nachdenklich bin ich jedoch immer noch. Aber es gibt mir Trost, das der Bock vollständig verwertet wird, jeder der sein Fleisch isst es zu schätzen weiß, dass er sein Leben dafür gab und er nie vergessen wird. Niemals werde ich ihn vergessen und niemals den Respekt vor ihm verlieren. Er ist jetzt ein Teil von mir und meiner Geschichte und ich ein Teil von seiner. Wir sind unzertrennlich und werden es auch immer bleiben. Niemals werde ich ihn vergessen.

 

Chiara Ivy Wagner

Autor: Chiara Ivy Wagner

Tags: Jungjäger
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